(Online-)Dating ist mein Endgegner.
Ich bin der einzige Mensch auf diesem Planeten, der eine echte Dating-Niete ist. Das mag vielleicht nach einer negativen Affirmation klingen, die ich mir viel zu lange vor dem Spiegel eingetrichtert habe. Doch für mich fühlt es sich so an. Denn alle – außer mir – scheinen guten Sex mit sympathischen Gspusis zu haben, oder fahren mit ihren gut aussehenden Insta-Husbands geradewegs in Richtung Happy End – begleitet von Feuerwerken der Leidenschaft versteht sich. And than there is me.
Mich persönlich kostete die Kennenlernphase enorme Anstrengung und Überwindung. Auf Dating-Plattformen spitzte sich das Ganze noch mal zu. Obwohl die Dating-App Bumble mit einer ihrer Werbungen „Fall in love with dating“ eine großartige Online-Kampagne auf die Beine stellte (sie erreichte mich öfter, als meine Mama mich telefonisch), schien der Funke bei mir nicht mehr überzuspringen.
Dabei habe ich es wirklich versucht und meine Angel in den verschiedensten Gewässern – also „Love-Apps“ – ausgeworfen, um meine Chancen auf einen guten Fang zu erhöhen. Die Auswahl der Dating-Apps ist groß, da kommt es schon mal vor, dass man sich die Daumen wund swiped, denn es gibt viele Fische im Wasser. Bekanntlich wissen wir aber: Auch viel Müll und Plastik.
Deshalb blieben all diese Apps in den letzten Monaten unberührt. Denn ich war müde und war es auch leid. Zu viel Auswahl, zu viele Profile, zu viele Red Flags und die oftmals schockierende Umgangskultur formten ein großes „Lauf“ vor meinem inneren Auge. Aber wie das so ist, flammte nach einer bewussten Zeit des Fuckboy-Detox meine Lust zu Swipen vor ein paar Wochen wieder auf. Ich bin wieder so weit, in das Meer des Online-Datings abzutauchen. Um meine Zehen aber nicht wieder direkt in das Haifischbecken zu stecken, begann ich mein Comeback mit einem Crashkurs: eine Runde Real-Life-Speeddating.
DER TAG X
Der Ablauf einer Speeddating-Veranstaltung ist relativ simpel. Man nehme x Single-Männer und x Single-Frauen (in meinem Fall waren es jeweils 11). Alle Teilnehmer und Teilnehmerinnen bekommen eine Nummer zwischen 1 und x an die Brust gepinnt. Um bei den Gesprächsthemen auf Nummer sicherzugehen, kann man sich zusätzlich auch mit einer Small-Talk-Kategorie selbst „taggen“ und Worte wie „Bücher“, „Filme“, „Essen“ an das Oberteil heften.
Nach ein paar „Einstimmungsspielchen“ und Interaktionen in der Gruppe hieß es auch schon: Alle Nummern auf ihre Plätze, fertig und LOS!
Jedes Date dauerte 7 Minuten. Die Namen der Männer habe ich natürlich verändert.
Tisch 1 und 2: Das Blackout
An Mister 1 und Mister 2 kann ich mich beim besten Willen nicht mehr erinnern. Gesichter, Gespräche … flutschten wie Wasser durch das Nudelsieb. Es blieb nichts hängen. Ich war aufgeregter als gedacht.
Tisch 3: ßön, dich kennßulernen
Markus, Niederösterreicher, 29, lispelte hin und wieder. Er trug ein blaues Hemd mit kurzen Ärmeln. In Gedanken bin ich während des Gesprächs die Pantone-Farbpalette durchgegangen: „Horizon Blue“ oder doch eher „Deep Peacock“? Das Gespräch war nett, jedoch wurde ich das Gefühl nicht los, dass ich gerade meinen Cousin Roman aus Aspang date.
Tisch 4: Es geht also doch
Das erste „Hallo!“ war charmant. Armin war richtig interessiert, aufmerksam und herzlich. Selbst, wenn er optisch nicht ganz mein Typ war, war es ein echtes Vorzeige-Speeddate und jemand mit dem ich mir ein Bar-Hopping durch Wien vorstellen könnte. Es gibt Menschen, die mit ihrer Präsenz, ihren Geschichten und Erlebnissen jede Gruppe bereichern – Armin zählt zu solchen Menschen.
Tisch 5: Thank you, next!
Stefan wohnt im wunderschönen Krems. Ländlich – das mag er. Gemeinsam mit seinem Vater leitet er eine IT-Firma. Das klingt doch nicht schlecht, denkt ihr vielleicht? Mag sein, nur leider fallen zwischen Minute 1 und 2 dann auch Sätze wie dieser: „Weißt du das Schöne an meiner IT-Firma ist, dass alle dort wissen, dass Männer in die IT-Abteilung gehören und die Frauen ins Büro oder Marketing.“ Noch so ein Highlight: „Allgemein würde ich niemals Gendern und dieser ganze Black-Lives-Matter-Scheiß darf gerne in Amerika bleiben.“ Okay, thank you, next! Zeit zu gehen. Ich imitierte das Zeichen, das nach Ablauf der 7 Minuten jedes Mal ertönte: „Kling, kling, kling – oh, vorbei! Wir sollten das nie wiederholen! Und kleiner Spoiler: Männer wie du verlangsamen den Gleichberechtigungsprozess, aufhalten können sie ihn aber nicht!“
Mit meinen 4 gewonnen Minuten marschierte ich zur Bar und bestellte ein großes Bier. Manchmal lohnt es sich, den Fluchtweg in Erwägung zu ziehen. Denn niemand von uns muss 7 Minuten freiwillig in der Hölle verbringen.
Tisch 6: Grillenzirpen und Zigarettenpausen
An diesem Abend befanden sich 11 Single Männer und 10 Single Frauen in diesem Raum. Eine der Frauen war nicht aufgetaucht – die Glückliche! Egal ob Darmvirus, verschlafen oder einfach keinen Bock: Ich beneidete sie sehr. Eine Teilnehmerin zu wenig bedeutete, dass einer der männlichen Teilnehmer immer eine 7-minütige Pause hatte. Patrick von Tisch 6 hatte offenbar kein Zeitgefühl. Er verbrachte eine Extrarunde rauchend vor der Tür und verpasste somit unser Date.
Tisch 7: Omamas und heiße Luft
Auf in die nächsten Runde! An Tisch 7 erwartete mich Raffael. Er ist mir bereits in der Pause aufgefallen. Ein Telefonat, bei welchem in jedem Satz mindestens zweimal das Wort „Omama“ oder „Eigentumswohnung“ fällt, zwingt einen quasi zum Mithören – ob man will oder nicht. Besonders, wenn er beschließt, das Telefonat keinen halben Babyelefanten neben dir zu führen.
Jedenfalls war ich schon gespannt, was mir Raffael, der offenbar ein sehr inniges Verhältnis zu seiner „Omama“ pflegt, von sich erzählen wird. Schnell war klar, dass Raffael neben Gesprächen mit seiner Oma vor allem eines gerne tut: Über sich selbst reden. Die 7 Minuten bestanden aus einem unfassbar unglaubwürdigen Monolog (mit vielen Widersprüchen) über seinen Job in einer Bank. Die Details erspare ich euch, aber so viel sei gesagt: Lieber Raffael, du musst deinen Job beim ersten Date nicht verkaufen als wären wir bei Mediashop und noch 3 Teflonpfannen obendrauf legen.
Tisch 8: Zeit zum Durchatmen
Wir waren uns definitiv sympathisch und konnten uns gut unterhalten. Moritz hatte eine angenehme Stimme und einen beruhigenden Blick. Nach einer Weile stellte ich fest: vielleicht ein bisschen zu ruhig für mich.
Tisch 9: Klartext
Mein Gegenüber war locker 10 – 12 Jahre älter. Ivo hatte lange, hellbraune wilde Locken und war ein sympathischer Mitmensch. Es waren gute 7 Minuten ohne krasse Höhen und Tiefen und genau das, was ich nach den Rollercoaster-Fahrten davor gebraucht habe. Zum Abschied warf er mir noch die Frage „Willst du Kinder?“ vors Gesicht. Sie kam, wie ein Reh aus dem nichts und ich versuchte ihr auszuweichen. Aber er wiederholte die Frage: „Willst du Kinder?“ Ich weiß nicht, ob „Ja“ oder „Nein“ für ihn die bessere Antwort gewesen wäre – beides fühlte sich auf jeden Fall an, als würde ich das Reh überfahren. Ich beantwortete die Frage widerwillig mit „Irgendwann gerne“ und zog einen Tisch weiter.
Tisch 10: Rotwein und Hochzeitsglocken
Mister 10, Christoph, habe ich bereits vor der ersten Daterunde an der Bar kennengelernt. Als ich goschert wie ich bin, so tat, als würde ich mich mit guten Weinen auskennen, auf eine Flasche Pittenauer zeigte und sagte „Der ist nicht schlecht“. Der Kerl hat sich dann tatsächlich auf meine Empfehlung hin einen Rotwein als Aperitif bestellt. „Der Arme“, dachte ich. „Kippt sich als Aperitif einen Rotwein rein und wird spätestens nach Date 3 einen Powernap brauchen.“ Was soll ich sagen? Als ich ihm als zehntes Date meine Fingerpistolen entgegenschnippste, war er immer noch fit wie ein Turnschuh. In dieser Runde mussten wir uns gegenseitig ehrliche Antworten auf eine Frage geben, die da lautete: „Wie soll deine nächste Beziehung aussehen?“ Ich holte Luft und führte einen 2-minütigen Monolog, den er mit den Worten: „Das ist ja unfassbar, genau so soll meine Beziehung auch aussehen! Vielleicht bist du meine Traumfrau“, abschloss.
Spoiler: Für zwei Kinder, ein Haus am See und einen Golden Retriever namens „Norman“ hat die Anziehungskraft dann leider doch nicht gereicht.
Tisch 11: Reden ist Silber – Schweigen ist Gold
Felix muss das Leid in meinen Augen gesehen haben, als ich mich in den Sessel fallen ließ. Die Nummer 11 an diesem Abend zu sein, war aber auch eine undankbare Rolle. Meine Energie war nach diesem Dating-Marathon im Keller. Auch ihm fiel es sichtlich schwer, noch Motivation für ein tiefgründigeres Gespräch aufzubringen. So verbrachten wir das letzte Speeddate mit Small-Talk-Floskeln und dem verbindenden Wunsch, dass die 7 Minuten in der Hölle bald ihr Ende finden würden.
Versteht mich nicht falsch – nicht alles an diesem Abend war schlecht! Ich habe mich wieder raus gewagt. Und noch wichtiger: Ich habe erkannt, dass ich mich wirklich mit jedem unterhalten kann, es aber nicht mit jeden muss.
Dieser eine Abend fühlte sich an wie ein Jahrzehnt Dating im Zeitraffer, denn er hatte fast alles zu bieten: Ich wurde versetzt. Ich musste mich mit Typen abplagen, die nichts für das Gespräch getan haben oder reine Monologe führten. Ich saß mit einem Mann am Tisch, der es sich nicht nehmen ließ, bei jedem seiner weiteren Dates darüber zu klagen, dass Nummer 4 (ich!) eine anstrengende, radikale Feministin sei. Und ich habe die Namen zwei meiner Gegenüber vergessen. Aber: Ich habe auch das ein oder andere gute Gespräch geführt – selbst, wenn der Funke nicht übergesprungen ist. Daher mein Fazit: Speeddating ist nichts für schwache Nerven, es kann zu einer höheren Pulsanzeige auf der Smartwatch führen und bedarf viel Ausdauer.
Würde ich es weiterempfehlen? Klar! Denn das schlimmste, das dir passieren kann, ist, dass du richtig viel Gesprächsstoff für die nächsten Wochen mitnimmst und vielleicht sogar einen Glücksfang ködern kannst. Jetzt reicht es aber wirklich mit den Fischer-Metaphern. Bevor noch jemand glaubt, es wäre eine gute Idee, auf seinem Tinder-Profilbild mit einem 25 Kilo Karpfen zu posieren. (It’s not, Martin!)
Zurück zu meinem aktuellen Liebesleben: Meine Zwangspause von Tinder, Bumble, Lovoo, und wie sie alle heißen, hat jedenfalls Früchte getragen: Ich spüre wieder diese Energie in mir! Ich bin wieder bereit zu wischen, swipen und superliken. Bereit zum Trinken, Spazieren und gemeinsam Nachhause gehen. Den ersten holprigen Wiedereinstieg in das Dating-Game habe ich geschafft. Nun ist es an der Zeit meinen Homescreen wieder mit der ein oder anderen Dating-App zu bestücken. Mal schauen, wie lang es dauert, bis ich dieses Mal den ersten Boulder-Begeisterten ins Jenseits swipe, geghostet werde, oder ich bei einem Treffen aus Nervosität auf die Frage: „Und, was machst du gerne in deiner Freizeit?“, mit: „Danke, gut!“, antworte. I’ll keep you updated.
Cheers,
Eure Julia
Gastautorin
Julia Gremsl
Julia Gremsl (she/her) ist Vollzeit Glückskind und Teilzeit goschert. Den Status-Quo hat sie schon als Kind am Frühstückstisch gechallenged. Daran hat sich wenig geändert, was heute aber nicht mehr fehlen darf ist eine Flasche Naturwein, Hosentaschen voller Konfetti, geladene Mittelfinger und eine Prise Humor (Manchmal auch ein Esslöffel). Mitreißender als Julias Lacher in ihren Stories sind nur die Niagarafälle @juliagremsl