Ist dieser Titel zu radikal? Ich denke nicht. Nicht in dem Land, in dem ich dieses Jahr 14 mal eine rote Zahl an eine Wand geschmiert habe, um die brutalen Morde zu zählen. Dahinter stehen Mörder, die ihre Frauen und Ex-Partnerinnen erschossen, erstochen und bei lebendigem Leib verbrannt haben. Es sind 125 Femizide in den letzten 3,5 Jahren. Ich saß bei der Gedenkfeier von Nadine und fragte mich, wie viele noch? Ich hörte die Stimmen der Hinterbliebenen und frage mich, wie es mir gehen würde, wäre meine Mutter, Schwester oder Tochter von ihrem Ex angezündet geworden. Versuche es dir auch nur einen Bruchteil einer Sekunde bildlich vorzustellen und du erkennst das Ausmaß an Brutalität.
Aber es sind nicht nur die Morde. Was ist zum Beispiel mit jener 29-Jährigen, die so lange von 3 Männern vergewaltigt und missbraucht wurde, bis ihre Vulva derart verstümmelt war und Verletzungen im Genitalbereich so groß waren, dass sie beinahe verblutet wäre? Das Blut wurde von der Halbtoten abgewaschen und sie wurde noch weiter stundenlang von den 3 Männern vergewaltigt. Ob sie jetzt nach deren Verurteilung wohl lieber tot wäre als mit diesen Erfahrungen weiter zu leben? Ich verheimliche nicht, dass sich mir diese Frage stellt.
Ich brauche deshalb zwar nicht alle Männer zu hassen, aber fürchten tue ich mich alle mal vor jedem Einzelnen. Ja, ich habe vor jedem einzelnen Mann Angst. Du nicht? Überleg mal. Wenn es so viele Männer sind, die ihre Frauen schlagen, unterdrücken und missbrauchen – wie erkennst du sie dann? Wie viele kennst du persönlich? Wir alle kennen Frauen mit schlimmen Erfahrungen, aber wer sind die Männer, die sie ihnen angetan haben?
Wenn du in Österreich auf der Straße gehst und fremden Männern ins Gesicht blickst, siehst du statistisch gesehen in jedem Fünften einen Sexualstraftäter oder zumindest einen Frauen misshandelnden Schlägertypen.
Und wenn es doch meistens die aus dem engsten Umfeld sind, wo soll ich mich dann noch sicher fühlen? Woher soll ich nachts wissen, wer die kranken Monster sind, diese Unmenschen, die sich nicht mal mit Tieren vergleichen lassen?
Ich will also nicht mehr hören, ob und warum es Feminismus „noch“ braucht. Denn es braucht ihn mehr denn je. Wir leben in einer Scheinwelt, in der wir uns in falscher Gleichberechtigung wiegen. In Österreich können sich Frauen nicht mal ihrer körperlichen Unversehrtheit sicher sein. Es geht um das Recht, in Freiheit leben zu können, ohne die Angst in der U-Bahn, einer Bar oder am Arbeitsplatz. Es geht um das Recht, Nachts im Minirock auszugehen, keinen BH zu tragen und gern mit vielen Männern zu schlafen, ohne, dass es danach zu slut-shaming kommt. Das Verhalten einer Frau ist und wird niemals eine Erklärung oder gar Rechtfertigung für die widerwärtigen, monströsen Taten von Männern sein.
Ich bin leid es erklären zu müssen, wenn diese scheinbar nie enden wollende Taten – nämlich pure Gewalt resultierend aus geschlechterspezifischen Machtstrukturen – nicht reichen, um es klar zu machen. Ich bin es Leid auch nur Blicke von fremden Männern zu ertragen.
Ich fühle mich beschämt, beleidigt und wütend, wenn sie mir hinterherrufen und weiß, dass es Symptome einer kranken Gesellschaft namens Patriarchat sind.
Wenn diese Symptome nicht bekämpft werden, sondern von Frauen und Männern toleriert werden, dann brauchen wir uns nicht wundern, wenn der Griff zum Messer, der Pistole, dem Hammer oder einfach Mord und Totschlag mit bloßer Hand die letzte Instanz einer langen Kette an Frauen unterdrückenden Handlungen ist.
Vor genau 1,5 Monaten stand ich am Enkplatz und hielt eine Rede in Gedenken an die Opfer der durchschnittlich 3 Frauenmorde pro Monat in Österreich seit Beginn des Jahres. An jedem der 40 Tage seither habe ich mich gefreut nicht von Einer mehr gehört zu haben, die einem Mann zum Opfer gefallen ist.
Möge ich auch nur einen kleinen Beitrag leisten können, weibliche Lust, Freiheit und Rechte zu unterstützen, so ist es doch das Größte, was wir ALLE tun können: darüber sprechen, nicht darauf vergessen und auch ja nicht verzeihen, immer kämpfen und stets die Frauen in eurem Umfeld unterstützen. Ihr seid auch Nachbarinnen und Nachbarn. Haltet die Ohren offen. Seht hin auf der Straße und geht nicht vorbei. Widersprecht den Catcallern, kontert Sexismus und seid rebellisch!