Der Anfang von Melisa Erkurts Biografie scheint ihr ein schwieriges Schicksal vorzuzeichnen: Als Baby kommt sie 1992 aus dem kriegsgebeutelten Bosnien-Herzegowina nach Österreich. Die Eltern arbeiten hart und sind kaum zuhause, Bildung ist im Hause Erkurt nicht allzu weit oben auf der Prioritätenliste. Trotz der mangelnden Unterstützung von daheim kommt Melisa Erkurt wider aller Statistiken und Erwartungen ans Gymnasium und maturiert. Es folgt ein Lehramtstudium in Deutsch und Psychologie und Philosophie – ungewöhnlich, wenn man bedenkt, dass Melisa Erkurt am Papier eine klassische Verliererin des österreichischen Bildungssystems sein sollte. Auf einem Bildungsweg in einem Land, das einen die eigene Herkunft nicht vergessen lässt, fühlt sich Erkurt selbst mit einem abgeschlossenen Studium in der Tasche als „Verliererin bis zum Schluss“.
Die soziale Herkunft verschwindet nicht, nur weil man auf den ersten Blick aufsteigt. Erst recht nicht, wenn man in einer Gesellschaft lebt, in der man sich ständig dafür schämen muss, so zu sein wie man ist.
Melisa Erkurt im Interview mit der Wiener Zeitung
Nach dem Studium zieht es sie zurück an die Schule, aber vorerst nicht als Lehrerin, sondern als Teil des Projekts „Newcomer“, das vom Migrantinnen-Magazin „biber“ ins Leben gerufen wurde. Den Kontakt und ihre Erfahrungen mit Wiens Brennpunktschulen und ihren Schüler*innen im Rahmen des Projekts beschreibt Melisa Erkurt 2016 in ihrer aufsehenerregenden Reportage „Generation Haram“, wo sie die vom muslimischen Jugendlichen ausgehende Verbotskultur („haram“) an Brennpunktschulen, die vor allem muslimische Mitschüler*innen trifft, thematisiert. In der journalistischen Welt expandiert sie und beginnt für die taz und den Falter die Kolumnen „Nachhilfe“ und „Nachsitzen“ zu schreiben, wo sie aus dem schulischen Alltag berichtet, aber auch das österreichische Bildungssystem in die Mangel nimmt. 2018 tritt Melisa Erkurt ihre erste Lehrverpflichtung an und ficht für ein Jahr direkt im Klassenzimmer den Kampf mit der Diskriminierung und Chancenungleichheit in Österreichs Schulsystem.
Im Jahr darauf wird sie teil der Redaktion des ORF-Politmagazins „Report“ und verlässt das schulische Umfeld. Melisa Erkurt möchte durch ihre journalistische Arbeit etwas bewirken: „Generation haram: Warum Schule lernen muss allen eine Stimme zu geben“ ist ihr vor kurzem erschienenes Buch, in dem sie die Probleme aufzeigt, mit denen die sogenannten Bildungsverlierer*innen in Österreich konfrontiert sind und das nach einem Heilmittel für unser kränkelndes Bildungssystem sucht. Melisa Erkurt bringt kontroverse Themen auf und polarisiert damit – aber in einer Gesellschaft, in der Migrant*innen und sozial schwächere Schichten oftmals auf taube Ohren stoßen, ist sie eine der wenigen Stimmen, die gehört werden.
Quellen:
https://www.tt.com/artikel/17214713/melisa-erkurt-ist-die-laute-stimme-fuer-die-oftmals-nicht-gehoerten
„Generation haram: Warum Schule lernen muss, allen eine Stimme zu geben“
https://www.falter.at/zeitung/autoren/melisa-erkurt
https://www.profil.at/oesterreich/melisa-erkurt-und-susanne-wiesinger-ueber-die-schule-wir-reden-zu-wenig-klartext-mit-den-eltern/401011118