Es fiel mir schwer, diesen Beitrag zu beginnen. Werden Menschen denken, dass ich nur meckern will? Was könnte das Worst-Case-Szenario sein, wenn ich mit diesem Text assoziiert werde? Nachdem aber genau diese eingepflanzten Sorgen das Problem darstellen, möchte ich mich lieber darauf konzentrieren: Wenn nur eine Frau sich gehört und verstanden fühlt und spürt, dass sie nicht schuld ist, an grausamen Dingen, die ihr widerfahren, dann hat dieser Beitrag seinen Zweck erfüllt.
In Österreich aufgewachsen zu sein, zählt heute zu den Teilen meines Lebens, die ich am meisten wertschätze, liest man doch immer von den vernachlässigten Frauenrechten in anderen Ländern und Kulturen. Doch wieso eile ich bis heute panisch von der Bushaltestelle nach Hause, wenn es schon dunkel ist? Wieso tue ich so, als würde ich telefonieren, wenn ich alleine auf der Straße bin? Fake-Konversationen, wie „Ja, bin gleich da“? Wieso schließe ich panisch sofort ein Auto ab, nachdem ich eingestiegen bin, nachdem ich mich zuvor mehrmals versichere, dass niemand in meiner Nähe ist? Wieso muss ich paranoid leben, so wie der Großteil aller Frauen?
Die Antwort ist: Weil uns bis heute die Schuld gegeben wird, wenn uns etwas zustößt. Weil wir dazu erzogen wurden, schlechtes Verhalten anderer zu entschuldigen, während uns nichts verziehen wird. Junge Mädchen müssen lieb sein, fromm, feminin und hübsch. Das sind die Werte, durch die wir auf Männer attraktiver wirken sollen. Wir werden dazu erzogen zu schweigen, wenn uns unrecht getan wird, weil wir sonst „mühsam“ oder „nervig“ sind. „Zieh dir halt mehr an“, oder „Schmink dich doch weniger“, aber auch „Wieso warst du auch alleine unterwegs?“ sind Aussagen, die wohl sehr oft tatsächlich mit bester Absicht gemeint sind. Jedoch wird durch diese Aussagen mitgeteilt, dass das eigene Erscheinungsbild etwas entschuldigt, das jedoch in Realität auch denjenigen zustößt, die weite Hosen und Pullover tragen.
Selbstverteidigungskurse hatten wir schon mit 12 Jahren in der Schule, aber keine Diskussionen, wie miteinander umzugehen ist.
Wieso wird nicht am eigentlichen Problem gearbeitet?
Wieso ist es bis heute von vielen Menschen akzeptiert, dass Missbrauch „halt passiert“ und „Männer halt Triebe haben“? Es gibt so viele wunderbare Beispiele dafür, dass nicht jeder Mann so ist, ja. Wieso entschuldigt diese Tatsache aber wiederum, dass viele „so sind“? Die Menschen, die auf Videos zu sexuellem Missbrauch mit „aber auch Männer werden vergewaltigt“ reagieren, sind oft diejenigen, die sonst nicht für Männer aufstehen, wenn diese unter toxic masculinity in der Gesellschaft leiden, und immer „stark“ sein müssen. Viele verstehen nicht, dass man durch respektvolles Verhalten anderer gegenüber nicht den eigenen Respekt verliert, sondern dazu beiträgt, Respekt insgesamt zu stärken.
„Ich selbst mach‘ das ja eh nicht“ hilft keinem Menschen, dem etwas angetan wurde. Und „Tu nicht so blöd und feministisch“, gefolgt von einem lachenden Smiley, ist wohl der Grund, warum es wichtig ist, die Realität immer wieder zu thematisieren – solange, bis kein Mensch mehr sich selbst die Schuld gibt, seinen eigenen Wert nicht mehr beschädigt sieht, und bis man sich berechtigt sieht, grausames Verhalten nicht zu akzeptieren.
Wer nicht Teil der Lösung ist, ist Teil des Problems.
Lasst uns alle Teil der Lösung sein.
Viva La Vulva Gastautorin
Anna
Anna ist 24 Jahre alt und hat Tourismusmanagement studiert. Während ihrer Praktika arbeitete sie in verschiedensten Kulturkreisen rund um den Globus, und lernte von anderen Frauen, die sich in der von Männern dominierten Managementwelt beweisen müssen. Dass Frauen alles schaffen können, ist ihr bewusst, und diese Erkenntnis möchte sie anderen Frauen, die noch etwas eingeschüchtert sind, weitergeben.