Gastbeitrag

Von Victim-Blaming und Slut-Shaming: Schluss mit Täter-Opferumkehr!

Sehr schnell hatte sich in meiner Jugendzeit die Meinung gefestigt, dass Männer Frauen nur als reine Sex- und Lustobjekte ansehen würden. Wenn die Burschen aus meiner Klasse von ihren Wochenenderlebnissen erzählten, von der Anzahl an Mädels, die sie wieder mal angeblich flachgelegt hatten, dann empfand ich immer Ekel und es widerte mich extrem an. Ich fragte mich, wie es möglich sei, dass Männer Frauen nur so demütigend behandeln konnten?

 

Eines Tages hatte ich ein besonders schlimmes Erlebnis, welches ich bis heute nicht vergessen kann….

 

Ich war damals ungefähr 16 Jahre alt und war mit Freunden auf einem Fest, als ich auf einen unglaublich attraktiven Burschen traf, der mir schon mal bei einer anderen Gelegenheit aufgefallen war. Wir unterhielten uns eine Weile und tranken an der Bar bis er mich fragte, ob ich Lust auf einen Spaziergang hätte. Da ich ihn echt toll fand, bejahte ich natürlich sofort und wir verließen gemeinsam das Festgelände. Entfernt vom Fest setzten wir uns auf den Boden eines Feldes hin und begannen uns zu küssen. Er wurde dabei allerdings immer bedrängender und fordernder.

Erst in dem Moment begriff ich den Ernst der Situation: Wenn ich ihn jetzt nicht stoppen würde, dann würde es nur auf das Eine hinauslaufen – Sex. Und penetrativer Sex war für mich ja bis dato nicht möglich (ich litt zu dieser Zeit an Vaginismus – nähere Erklärungen findet ihr im Gast-Beitrag „Vaginismus – das Leben mit der unsichtbaren Wand“). Auf einmal stieg in mir Panik hoch und ich erinnerte mich außerdem daran, dass mir erzählt wurde, er hätte erst vor einer Woche auf einem anderen Fest ein Mädchen flachgelegt. Es wäre ihr erstes Mal gewesen und sie hätte irrsinnige Schmerzen gehabt, weil er kein Vorspiel wollte…..
Verdammt. Was sollte ich nur machen? Wenn wir versuchen würden Sex zu haben, dann würde es garantiert wieder nicht funktionieren. Und was würde ich machen, wenn er es dann anderen weitererzählt, dass mit mir etwas nicht stimme oder dass ich abnormal sei?
Ich war wie gelähmt und traute mich einfach nicht das Ganze abzubrechen.

 


Ich lag auf dem Boden und auf einmal begann er auf mich zu klettern, bis er vorne bei meinem Hals saß. Er fixierte mit seinen Knien meine Schultern, wodurch ich mich gar nicht mehr bewegen konnte.

 

Er wollte eindeutig, dass ich ihm einen blase. Voller Angst überschlugen sich meine Gedanken.. Ich traute mich nicht „nein“ zu sagen – aus Sorge, dass er dann allen anderen die Wahrheit, dass ich an Vagnismus litt, über mich erzählen hätte können. Ich dachte, ihm einen zu blasen, sei hinsichtlich penetrativem Sex, der nicht klappen würde, die bessere Option. Also schluckte ich kräftig meinen Ekel hinunter und nahm seinen Penis in den Mund. Es widerte mich so dermaßen an. Tränen stiegen in meine Augen. Aber ich tat es einfach…. Ich hoffte nur, es würde ganz schnell vorbei sein und ich könnte danach alles wieder schnell vergessen und ungeschehen machen. Als er nach endlosen Minuten endlich gekommen war, beugte er sich zu meinem Hals vor und verpasste mir einen riesigen Knutschfleck, so nach dem Motto, „Ich hatte dieses Mädchen“.

Gedemütigt bis in alle Knochen, folgte ich ihm auf den Weg zurück zum Fest. Ich ging ein paar Meter hinter ihm, um ja nicht mit ihm sprechen zu müssen. Ich konnte meine Tränen nicht mehr zurückhalten und die aufkommenden Gefühle überwältigten mich. Er bekam gar nichts mit und ignorierte mich mehr oder weniger. Als wir zurück am Festgelände waren, ging ich sofort aufs Klo, um meine Tränen zu trocknen und um mich zu beruhigen.

 

Ich sagte mir immer wieder vor: „Okay, okay, es ist vorbei, du hast es überstanden.“

 

Als ich mich halbwegs beruhigt hatte, ging ich zu meiner besten Freundin zurück und sie verriet mir sofort, dass er bereits allen erzählt hatte, was ich getan hätte. Ich wollte einfach nur im Erdboden versinken. „Toll, alle denken jetzt sicher, dass ich eine Schlampe bin!“, dachte ich. Aber eigentlich war das Allerschlimmste für mich, dass niemand meine Sichtweise der Geschichte kannte, dass niemand wusste, wie unbeschreiblich widerlich und demütigend es für mich war.

Ich hoffte so sehr darauf, die Erinnerung an diesen Abend möglichst schnell aus meinem Kopf streichen zu können. Aber leider war dem nicht so. Immer wieder holte mich dieses Erlebnis ein und erschien mir jedes Mal als böser Alptraum. Es fraß mich von innen her langsam und grausam auf…..
Ich verstand mich selber nicht.

 

Warum hatte ich etwas getan, was ich selbst nicht wollte? Wieso bin ich nicht für mich selber eingestanden? Warum habe ich das Ganze zugelassen? Wieso habe ich mir das selber angetan? Wieso habe ich nicht einfach „nein“ gesagt?

 

Dieses Erlebnis hatte natürlich meine Einstellung in Bezug auf Sex nicht verbessert, viel mehr hat es diese nur noch verschlechtert.

Das I-Tüpfelchen in Bezug auf dieses Thema war dann noch als ich mit 20 Jahren eine Beziehung mit jemanden anfing, der von ihm mehr oder weniger ein Bekannter war. So kam es, dass Freunde des Bekannten zu meinem damaligen Freund sagten: „Was? Du fängst eine Beziehung mit „der“ an, dass ist doch die, die damals dem Peter einen geblasen hat. Also ganze 4 Jahre später musste mich also nun dafür rechtfertigen. Für etwas rechtfertigen, was eigentlich mir angetan wurde. Und wieder stand die Frage im Raum „Warum hast du nicht einfach nein gesagt, wenn du es nicht wolltest?“ – Der Gedanke, dass ich doch selber schuld bin, festigte sich in meinem Kopf. Ich verstand mich doch selber nicht. Ich hätte doch nicht mit ihm mitgehen müssen. Ich hätte doch nein sagen können. Ich hätte das Ganze doch abbrechen können……

 

Heute bin ich 35 Jahre alt, d.h. das Ganze ist mittlerweile 19 Jahre her. Anfühlen tut es sich jedoch teilweise, als wäre es gestern gewesen. Oft hatte ich Angst im Dunkeln, oft hatte ich das Gefühl, dass mich jemand am Hals würgt, weil er damals mit seinem Knien so nah bei meinem Hals saß. Das Einzige was mir in Situationen der Angst half, war ein Licht am Nachtisch aufzudrehen.
Jahrelang habe ich es niemanden erzählt, weil ich mich dafür so geschämt habe. Erst sehr spät konnte ich mich Freunden anvertrauen und öffnen, was sich sehr befreiend anfühlte.

 

Nun möchte ich aber noch einen Schritt weiter gehen und entschied mich daher meine Geschichte hier zu veröffentlichen.
Ich hoffe damit anderen Betroffenen zu helfen und zu zeigen, dass es NICHT meine Schuld war.

 

Der Einzige, der falsch gehandelt hat, war er!!
Da ich selber damals nicht imstande war „Nein“ zu sagen, möchte ich allen Mut machen, die sich in solch einer Situation mal befinden, es zu tun!!

 

Eure eigenen Gefühle stehen immer über die des Gegenübers und wenn ihr euch in einer Situation nicht wohl fühlt, brecht sie ab und verlasst diese Situation. Lasst niemals etwas über euch „ergehen“ aus Angst vor den damit verbundenen Konsequenzen!

 

Viva La Vulva Gastautorin

Christina

Christina ist die Gründerin der 1. Selbsthilfegruppe für Vaginismus-Betroffene (“Invisible Wall”) in Österreich. Sie litt selbst 15 Jahre lang an primären Vaginismus und möchte nun mit ihren Erfahrungen anderen Betroffenen Mut machen.

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